2 Art. 122 StPO
Vertragliche Ansprüche fallen nicht unter Art. 122 StPO.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 12. November
2015, i.S. Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten gegen M.J. (SST.2015.156).
5.2
5.2.1.
Die Vorinstanz hat X (Privatkläger 2) eine Zivilforderung von
Fr. 1'400.00 zugesprochen, obwohl sie den Beschuldigten im damit
zusammenhängenden Strafpunkt freigesprochen hat (vorinstanzliches
Urteil, S. 62 f.). Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Be-
schuldigte hat X ein Auto verkauft, wobei der Kaufpreis vorab
geleistet worden ist. Zur versprochenen Fahrzeugübergabe kam es
dann aber nicht und der Beschuldigte verkaufte das Fahrzeug an je-
mand anderen. In strafrechtlicher Hinsicht verneinte die Vorinstanz
einen Betrug, weil es am Motivationszusammenhang zwischen dem
bei X hervorgerufenen Irrtum über den Vertragsleistungswillen des
Beschuldigten und seiner Vermögensdisposition gefehlt habe (vor-
instanzliches Urteil, S. 16). In zivilrechtlicher Hinsicht wertete die
Vorinstanz diesen Sachverhalt als nachträgliche subjektive Unmög-
lichkeit, welche dem Privatkläger 2 einen Anspruch auf Schadener-
satz gemäss Art. 97 Abs. 1 OR gewähre. In der Folge prüfte sie die
Voraussetzungen von Art. 97 OR und bejahte diese.
5.2.2.
Zu prüfen ist indes, ob ein solcher (vertraglicher) Anspruch des
Privatklägers X überhaupt dem Adhäsionsverfahren zugänglich ist.
Das Bundesgericht hat bislang offen gelassen, ob im Strafverfahren
vertragliche Ansprüche Ansprüche aus ungerechtfertigter Berei-
cherung adhäsionsweise geltend gemacht werden können (Urteil des
Bundesgerichts 6B_1160/2014 vom 19. August 2015 E. 8.4). Die
Lehre ist diesbezüglich gespalten. Einerseits wird die Ansicht vertre-
ten, dass grundsätzlich auch ein vertraglicher Anspruch adhäsionsfä-
hig sei (MAZUCCHELLI/POSTIZZI, in: Basler Kommentar, Schweizeri-
sche Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 8 zu Art. 119 StPO;
LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung,
2. Aufl. Zürich 2014, N. 5a zu Art. 122 StPO; DROESE, Die Zivil-
klage nach der schweizerischen Strafprozessordnung, HAVE 2011,
S. 45). Eine andere Lehrmeinung ist demgegenüber gegenteiliger An-
sicht (DOLGE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozess-
ordnung, 2. Aufl. 2014, N. 70 zu Art. 122 StPO).
Die Mehrheit der Lehre weist auf den offenen Wortlaut von
Art. 119 und 122 StPO hin. Der Anspruch müsse zwar aus einem
Verhalten abgeleitet werden, das auch strafrechtlich relevant sein
könne und deshalb Gegenstand des Strafverfahrens bilde. Eine
vollständige Kongruenz zwischen schadensstiftendem Verhalten und
strafbarer Handlung sei aber nicht notwendig: Wer beispielsweise bei
einer fahrlässigen Körperverletzung auch noch Sachschaden
anrichte, könne dafür adhäsionsweise in Anspruch genommen
werden, auch wenn eine Sachbeschädigung nur bei Vorsatz strafbar
sei (vgl. DROESE, a.a.O., S. 44).
5.2.3.
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet zunächst der Wortlaut
der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind ver-
schiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Trag-
weite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungsele-
mente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt
es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde
liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem
die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar
entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu
erkennen. Namentlich bei neueren Gesetzen kommt ihr eine beson-
dere Bedeutung zu, weil veränderte Umstände ein gewandeltes
Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen. Vom
Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür beste-
hen, dass er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind
mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die der Ver-
fassung am besten entspricht. Allerdings findet auch eine ver-
fassungskonforme Auslegung ihre Grenzen im klaren Wortlaut und
Sinn einer Gesetzesbestimmung (BGE 138 IV 232 E. 3 mit Hin-
weisen).
5.2.4.
Art. 122 Abs. 1 StPO bestimmt, dass die geschädigte Person
zivilrechtliche Ansprüche aus der Straftat adhäsionsweise geltend
machen könne. Gemäss Art. 115 Abs. 1 StPO gilt als geschädigte
Person, wer durch eine Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt
worden ist. Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO berechtigt die geschädigte Per-
son sodann zur adhäsionsweisen Geltendmachung privatrechtlicher
Ansprüche, die aus der Straftat abgeleitet werden.
Entgegen der z.T. in der Lehre vertretenen Auffassung ist der
Wortlaut in der StPO nicht weit, sondern eng gefasst. Erfasst sind
nicht sämtliche privatrechtlichen Ansprüche, sondern nur solche,
welche sich aus der Straftat (déduites de l'infraction bzw. desunte
dal reato) ableiten lassen. Sodann ist nicht jedermann zur
Konstituierung als Zivilkläger berechtigt, sondern nur der Geschä-
digte, mithin derjenige, der durch die Straftat in seinen Rechten un-
mittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 122
Abs. 1 StPO). Wer (ausschliesslich) einen vertraglichen Anspruch
gegenüber seinem Vertragspartner hat, wurde nicht unmittelbar durch
eine Straftat in seinen Rechten verletzt und ist entsprechend nicht als
Geschädigter im Sinne der Strafprozessordnung zu qualifizieren. Der
Wortlaut von Art. 122 StPO i.V.m. Art. 115 StPO spricht demnach
gegen die Ansicht, dass vertragliche Ansprüche Gegenstand des
Adhäsionsverfahrens sein könnten. Damit in Einklang zu bringen ist
auch Art. 126 Abs. 1 lit. b StPO, wonach das Gericht über die an-
hängig gemachte Zivilklage entscheide, wenn es den Beschuldigten
freispreche und der Sachverhalt spruchreif sei. Als Beispiele werden
hier insbesondere Konstellationen angeführt, in denen der Beschul-
digte zwar einen Tatbestand objektiv und subjektiv erfüllt, indes we-
gen mangelnder Schuldfähigkeit freizusprechen ist (DOLGE, a.a.O.,
N. 22 zu Art. 126 StPO). Sofern das Gericht indes - wie vorliegend -
den objektiven Tatbestand einer Strafnorm verneint, kann es nicht
gleichzeitig die Adhäsionsklage beurteilen und gutheissen. Diese
wäre vielmehr auf den Zivilweg zu verweisen gewesen, da dem Be-
schuldigten offenbar zwar ein vertragswidriges, indes kein Handeln,
welches sich aus einer Straftat ableitet, vorzuwerfen ist.
5.2.5.
In den Gesetzesmaterialien finden sich weder Hinweise für die
eine, noch für die andere Lösung, so dass eine historische Auslegung
keine weiteren Erkenntnisse liefert. Immerhin ist darauf hinzuwei-
sen, dass nach dem früheren kantonalen Strafprozessrecht eine Beur-
teilung der Zivilansprüche nicht stattfand, wenn das Strafverfahren
eingestellt der Beklagte freigesprochen wurde (vgl. z.B. § 165
Abs. 2 StPO/AG; § 193 Abs. 1 StPO/ZH; Art. 310 Abs. 2 StrV/BE).
Es ist aus den Gesetzesmaterialien nicht ersichtlich, dass der Gesetz-
geber mit der Einführung der eidgenössischen Strafprozessordnung
in Abweichung dazu die adhäsionsweise Geltendmachung auch nicht
aquilianischer Ansprüche hätte zulassen wollen.
Nichts ergibt sich sodann aus der systematischen Einbettung der
Art. 122 ff. StPO im 3. Kapitel über die Parteien und andere Verfah-
rensbeteiligte.
Bei der teleologischen Auslegung ist zwar zu berücksichtigen,
dass es dem Privatkläger - sollten vertragliche Ansprüche dem Adhä-
sionsprozess nicht zugänglich sein - unbenommen ist, später einen
Zivilprozess anzuheben. Dies steht der Verfahrensökonomie nicht
entgegen (so DROESE, a.a.O., S. 45), denn es geht bei vertraglichen
oder bereicherungsrechtlichen Ansprüchen einerseits und ausserver-
traglichen Ansprüchen andererseits zwar regelmässig um den glei-
chen Gegenstand, ansonsten liegt aber eben gerade kein identischer
Lebenssachverhalt vor. Zudem prüft der Strafrichter die Zivilsache
überhaupt erst näher, wenn ein aus der Straftat herrührender
zivilrechtlicher Anspruch substanziert behauptet und beziffert wird.
Demgegenüber beurteilt der Zivilrichter den Sachverhalt unter
Einbezug der zivilrechtlichen Verfahrensmaximen, so dass ein Urteil
über den Zivilpunkt nach einem Verfahren in geordneten Bahnen zu
erwarten ist.
Der vom Adhäsionsverfahren angestrebte Effizienzgewinn ist
mehr als fraglich, wenn der Strafrichter trotz eines Freispruches über
den Bestand eines vertraglichen Anspruches zu befinden hätte. Er
hätte sich zwar im Rahmen des Schuldpunktes bereits mit dem Sach-
verhalt befasst, indes wären für den vertraglichen Anspruch regel-
mässig auch andere Sachverhaltselemente zentral als im Strafver-
fahren. Während bei einer Erfüllung eines Straftatbestandes der
Beschuldigte offenkundig auch widerrechtlich i.S.v. Art. 41 OR
gehandelt hat und dementsprechend bereits eine Voraussetzung des
zivilrechtlichen deliktischen Schadenersatzes erfüllt ist, sind keiner-
lei Effizienzgewinne andere Vorteile zu erwarten, wenn das
Strafgericht auch vertragliche Ansprüche zu behandeln hätte.
Auch aus Sicht der Parteien sind keine Vorteile erkennbar, wenn
der Strafrichter vertragliche Ansprüche zu prüfen hätte, zumal unklar
ist, inwiefern die dem Zivilprozess immanenten Verfahrensgrund-
sätze sowie die entsprechend damit zusammenhängenden Behaup-
tungs- und Substantiierungslasten Anwendung zu finden hätten.
Liegt ein vertraglicher Anspruch im Streit, ist den Parteien nicht ge-
dient, wenn ein Strafgericht als Nebenpunkt in einem Strafverfahren
quasi kursorisch darüber befindet.
Insgesamt sind die übrigen Auslegungselemente neutral zu wer-
ten, wobei die teleologische Auslegung eher darauf hindeutet, dass
eben gerade nur solche Ansprüche adhäsionsweise geltend gemacht
werden können, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem tat-
sächlich erfüllten Straftatbestand stehen.
5.2.6.
Nach dem Gesagten fallen vertragliche Ansprüche nicht unter
Art. 122 StPO. Entsprechend hätte die Vorinstanz X keinen Schaden-
ersatz gestützt auf Art. 97 OR zusprechen dürfen, sondern die Klage
wäre auf den Zivilweg zu verweisen gewesen. Die Berufung des
Beschuldigten ist in diesem Punkt, wenn auch mit anderer als der
von ihm vorgebrachten Begründung, gutzuheissen.
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